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Schreib-Blog

Da kommt man aus dem Stau(nen) nicht heraus




Über den Moment, in dem die Liebe zur Sprache in mir entflammte


Teenage Dirtbag


Das Taschengeld gibt’s schon länger in Euro, die Terroranschläge sind gefühlte Ewigkeiten her und Minesweeper auf dem Klassencomputer zu spielen, ist sowas von out, denn es gibt ja jetzt Snake auf dem 6310.
Unser Gedankencocktail ist ein Mischmasch aus Pickeln, Pausen und Party.


Die anderen hören Christina Aguilera, aber ich bin eher das Teenage Dirtbag, das sich aus Mangel an Alternativen der Enya-Fraktion angeschlossen hat.

Durch das offene Fenster entfleucht der Mief von 24 Drogerieparfums und ich ziehe den Reißverschluss meines Jäckchens über dem T-Shirt nach oben. Meine Eltern erlauben mir keine bauchfreien Spaghettiträger-Tops.
Na ja, ich habe eh noch nichts, was ich darin präsentieren könnte, im Gegensatz zum Rest der Klasse.

Unter den Tischen wandert ein zerknitterter Zettel zu mir.

Meinst du, der süße neue Referendar hat eine Freundin?

Ein zweites Fetzchen Papier erreicht mich. Es steht irgendwas auf Elbisch darauf. O Mann, in was bin ich hier nur hineingeraten?


Der Auslöser


Der süße neue Referendar verteilt Aufgabenblätter.

Schreibe einen atmosphärischen Text über einen Stau – ohne Adjektive und Adverbien.

Pah. Gibt’s was Einfacheres als das? Ich zücke meinen Füller.

⬇️
"Die Autos standen dicht an dicht. Überall um mich herum nur rote Lichter. Ich blickte ungeduldig auf meine Uhr, aber die Zeit verging quälend langsam. Sie würden nicht auf mich warten, das war mir klar."
⬆️



Nein, Moment. Es strotzt ja von Adjektiven und Adverbien. Dicht geht nicht. Das muss raus. Und herum, rot, ungeduldig und quälend langsam auch. Und klar auch.
Verdammt. Doch gar nicht so easy.



⬇️
"Die Autos standen. Um mich nur Lichter. Ich blickte auf meine Uhr, aber die Zeit verging nicht. Sie würden nicht auf mich warten, das wusste ich."
⬆️


Gut, damit ist der Text aufgeräumt. Aber die Atmosphäre ist auch futsch.

Mist. Und jetzt?


Der Funke


Der Lehrer schaut mir über die Schulter. „Benutz doch aussagekräftigere Verben und spezifische Nomen.“

Na danke. Der hat ja tolle Tipps auf Lager. Ich seufze und setze den Füller wieder an.



⬇️
"Die Blechkolonne erstarrte. Ich fixierte die Zeiger der Armbanduhr, bis meine Augen brannten. Nichts. Nur Rücklichter, die höhnten, dass sie nicht auf mich warten würden."
⬆️



Kein literarisches Meisterwerk, aber ich komme aus dem Staunen kaum heraus:

Es geht nicht um das Wie, sondern um das Was.
Es geht nicht um die Beschreibung, sondern um die Handlung.

Auf meinem Stuhl zappelnd öffne ich das Jäckchen und fächele mir mit den Händen Luft zu.

Ich bin nur ein Newcomer, aber in mir glimmt jetzt ein Funke, den der Typ entzündet hat, der seine Ellenbogenflicken wie Abzeichen trägt.