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Wie schreibe ich fetzige Dialoge?




Fetzige Dialoge


Fetzige Dialoge

 

Dialoge sind die Würze der Geschichte. Zwischen purer Handlung und beschreibenden Textelementen bieten sie eine tolle Gelegenheit für Autorenspielereien.

Ich sag‘s euch ganz offen: Ich bin selten gelangweilter, als wenn ich ein Buch lese, in dem die Figuren sich voneinander verabschieden.

Lasst euch nicht einschüchtern, ich zeige euch sogleich ein Beispiel, das auch viel Positives beinhaltet.

Anhand des Manuskript-Ausschnitts von Hanna Wagner (danke für die Genehmigung zum Veröffentlichen) zeige ich euch jetzt praktisch, wie man einen Dialog mit geringem Aufwand lebendig gestalten kann.

 

Ausgangstext

 

Los geht’s:

 

»Hey, Penny, was gibt’s?«, nahm sie das Gespräch an.

»Mary, schön, dass ich dich erreiche. Wir wollen heute Abend tanzen gehen. Magst du mitkommen?«

»Wir?«

»Mike und ich. Jason wird auch da sein.«

»Jason?«

»Ja, er ist ein Kumpel von Mike. Die beiden schrauben gerne zusammen an ihren Motorrädern. Er ist sehr nett und sieht wahnsinnig gut aus. Ich brauche unbedingt weibliche Verstärkung und wir nehmen uns schon so lange vor, abends auszugehen.«

»Hm …«

»Bitte, Mary. Das wird bestimmt ein netter Abend.«

»Penny, um ehrlich zu sein, bin ich ziemlich müde.«

»Keine Ausreden, Schätzchen! Das wird dir guttun.«

»Na schön.«

»Prima, also um acht am Great One?«

»Ja, gut. Ich werde da sein.«

»Klasse, ich freue mich. Bis dann.« Penny legte auf.

 

Wie findet ihr den Dialog?



Positives

 

Redebegleitsätze

Wie gesagt gibt es auch viel Gutes: zum Beispiel die wenigen Redebegleitsätze (neudeutsch auch Inquits genannt).

Generell gilt: Redebegleitsätze lenken von dem Inhalt der wörtlichen Rede ab.

 

Typische Figurensprache

Dennoch muss man natürlich erkennen können, wer spricht, ohne dass in jedem Satz der Name des Angesprochenen genannt werden muss.

Penny hat schon eine gewisse eigene Sprache. Das ist toll! Eine eigene Figurensprache ist das hehre Ziel, das eine Autorin oder ein Autor stets vor Augen haben sollte.

 

Scene-Sequel-Structure

Ein weiterer positiv zu erwähnender Punkt, ist dass die Scene-Sequel-Structure eingehalten wird.

Schauen uns mal die Szene entsprechend meiner Lieblings-Schreibtechnik von Dwight Swain an.

Das Ziel:

Die Protagonistin Mary will eigenbrötlerisch zu Hause den Abend verbringen.

Der Konflikt:

Penny will Mary dazu überreden, mit ihr auszugehen.

Rückschlag:

(Prinzip: Nein, und) Mary erreicht ihr Ziel nicht, gibt nach, und muss nun auf ihren ruhigen Abend verzichten.

Die Punkte der »Sequel«, also Marys Reaktion darauf, wird im Kapitel noch weiter betrachtet, das geschieht aber nach dem Dialog.

Das waren einige gute Eigenschaften des Dialogs.

Trotzdem fehlen noch die Funken, oder?

 

Verbesserungspotentiale

Jetzt zu den Punkten, die man in diesem Dialog optimieren kann, damit auch der Lesende ein bisschen mehr involviert wird.

 

Banalitäten streichen

Siehe auch http://mystory-verlag.de/blog/dialog-iv-wo-schreib-ich-dialog-prosa/

 

Figurensprache verstärken

Siehe auch https://www.romanschule.de/schreibtipps/dialoge-schreiben/

 

Buntere Bilder, erwecke das Gespräch zum Leben                         

Das gilt für Dialoge ebenso wie für den gesamten Text. Je mehr Bilder der Lesende vor seinem inneren Auge hat, desto lebendiger empfindet er/sie den Text.



Jetzt der Königstipp:

Subtext hinzufügen!

Siehe ebenfalls https://www.romanschule.de/schreibtipps/dialoge-schreiben/

Subtext, was soll denn das sein?

Das ist das, was zwischen den Zeilen steht, was die Figur sagen will, aber nicht sagt.

So viel für den Moment mal zur Theorie. Die Praxis kommt bald.

 

Überarbeitung

 

Die Autorin hat aufgrund meines Feedbacks eine Überarbeitung geschrieben, die schon einiges berücksichtigt hat. Die Umsetzung ist nämlich gar nicht so leicht, wie man denkt.

Dennoch habe ich mir ihren Text nochmal vorgeknöpft und diesen Vorschlag geschrieben:

 

»Hey, Penny, was verschafft mir denn die Ehre?«, nahm sie das Gespräch an. »Ich habe doch nicht etwa was im Büro vergessen?«

»Mich! Mich hast du vergessen, meine Liebe!« Penny lachte. »Ich gehe heute Abend tanzen. Und drei Mal darfst du raten, wer mit mir kommt.«

Mary schloss die Augen. »Da brauche ich keine drei Versuche.«

»Du, mein Herzblatt! Ich brauche nämlich dringend weibliche Verstärkung.«

»Penny, nichts wäre mit lieber, aber leider …«

»Bing bing bing! Herzlichen Glückwunsch, das war Ihre tausendste Ausrede, Schätzchen. Sie haben einen Abend mit der famosen Penny und zwei unverschämt heißen Biker-Typen gewonnen.«

»Hm? Wem?«

»Mike und sein Kumpel Jason. Mhhh, riechst du schon die Lederklamotten, spürst das sprühende Testosteron und siehst du die sexy Muskelpakete? Also, bis gleich, um acht am Great One. Ich zähl auf dich.«

Was wäre wohl schlimmer: ein Abend mit Penny und den Männern oder das lauernde Monster der Einsamkeit in ihrer Wohnung? Die Entscheidung war eindeutig.

»Na, gut. Ich komme mit«, willigte Mary schließlich ein, aber Penny hatte schon aufgelegt.

 

Die Veränderungen

 

Wie liest sich der Text nun für euch? Und was genau haben wir, die Autorin und ich, gemacht?

 

Banalitäten streichen

Hanna hat Banalitäten gestrichen. »Schön, dass ich dich erreiche« und »Klasse, ich freu mich« sind nun entfallen. Puh.

 

Figurensprache verstärken

Da ich nur wenige Kapitel der Geschichte gelesen habe, ist die spezifische Figurenrede, die ich den Frauen angedichtet habe, eine Annahme. Letztendlich kann nur die Autorin verifizieren, ob der Ausschnitt so in den Kontext passt, aber dies hier ist ja auch nur ein Beispiel zur Verdeutlichung.

Mary sagt zum Beispiel: »Was verschafft mir denn die Ehre?« Dies ist ein gehobener Ausdruck, der auf eine gewisse Bildung schließen lässt.

Penny hat von uns eine spezifische Sprache durch die Nutzung von Kosenamen bekommen. Schätzchen, Herzblatt und meine Liebe sind nun in ihren aktiven Wortschatz eingetreten.

 

Buntere Bilder, erwecke das Gespräch zum Leben                         

Die Beschreibung der Biker erweckt im Kopf des Lesenden ein Bild, oder? Seht ihr sie auch, die beiden? Riecht ihr die Lederklamotten, spürt ihr das sprühende Testosteron sehr ihr die sexy Muskelpakete? Es werden mehrere Sinne angesprochen, um ein möglichst dreidimensionales Bild zu schaffen.

 

Subtext hinzufügen!

Was Mary sagt: »Da brauche ich keine drei Versuche«, bedeutet: »Ich weiß leider genau Bescheid.«

Was Mary sagt: »Penny, nichts wäre mit lieber, aber leider …«, bedeutet: »Ich habe überhaupt keinen Bock.«

Für den Leser ist klar ersichtlich, dass das Gesagte nicht mit dem Gemeinten übereinstimmt und das bringt Tiefe und Pfiff in den Text.

Das Instrument des Subtextes lässt sich hervorragend einsetzen, um Humor in den Text zu bringen, aber auch Konflikte. Wie oft passiert es in einer Beziehung, dass nicht das gesagt wird, was wirklich gemeint ist? Und Konflikte sind das, was wir in Büchern am dringendsten brauchen.

 

Weitere positive Aspekte

Weitere positive Aspekte an der Überarbeitung: Es gibt jetzt eine Innere Rede von Mary, die dem Lesenden den Entschluss darlegt, warum sie am Ende doch zusagt. Das hilft dem Lesenden enorm bei der Nachvollziehbarkeit. Zusätzlich schafft es eine starke Nähe, immerhin haben wir Mary kurz in den Kopf geschaut und an ihrer Gedankenwelt teilgenommen.

Die beiden Charaktere sind im Vergleich zum ersten Text geschärft: Mary scheint eine zurückgezogene, gebildete Frau zu sein, die ihre Redegewandtheit allerdings vortäuscht: Zu Beginn des Gesprächs verwendet sie eine gehobene Floskel, aber während des Gesprächs verfällt sie in ein nicht sehr elegantes: »Hm? Wer?«

Dahinter könnte sich Unsicherheit, Schüchternheit oder aber auch ein Schicksalsschlag verbergen, wer weiß?

Zumindest unterbewusst bemerkt der Lesende diese Diskrepanz und durch die aufgeworfenen Fragen wird Mary als Person interessant. Man möchte wissen: Warum ist Mary so zurückgezogen? Warum findet sie immer wieder Ausreden? Warum ist sie so einsam, findet aber dennoch immer wieder Ausreden, um nicht in Gesellschaft zu müssen, obwohl Penny doch offensichtlich eine herzliche und offene Person ist?

 

 Direkter Vergleich

 

Hier nochmal der direkte Vergleich der beiden Texte:

 

 

Fetzige Dialoge Anwendungsbeispiel


Wie findet ihr die Überarbeitung?